Montag, 11. Mai 2009

Burma: Aung San Suu Kyi schwer erkrankt - Junta verbietet Hilfe. Biografie dieser einzigartigen Ikone



Friedensnobelpreisträgerin Daw Aung San Suu Kyi ist schwer erkrankt.

Suu Kyi: Eine einzigartige, charismatische Persönlichkeit

jonas m. lanter

"Nicht Macht korrumpiert den Menschen, sondern Furcht.
Furcht vor dem Verlust der Macht korrumpiert jene,
die diese Macht ausüben,
und Frucht vor dem Zugriff der Macht korrumpiert jene,
die ihr unterworfen sind"


Anmerkung: Über die Ursache ihrer Erkrankung gibt es verschiedene wiedersprüchliche Informationen: Von einer Dehydration (Austrocknung des Körpes) bis zu schweren Krampfanfällen reichen die Meldungen über ein mögliches Krankheitsbild von Aung San Suu Kyi.


Die Historie dieser einzigartigen Frau:



jonas m lanter



1988 war ein spontaner Ausbruch der Frustration gegenüber einem untauglichen, repressiven Regime, welches nichts zur Verbesserung des Lebensstandards seines Volkes beigetragen hat. Hinter dem Protest standen keine Führer, keine grossen Organisationen, sondern einfache Studenten, buddhistische Mönche, die Lehrer und Juristen, welche zur Demonstration aufgerufen hatten.
Doch das begann anders zu werden am Abend des 25. August 1988, als sich eine grosse Menschenmenge am Fusse der Shwedagon-Pagode in Rangun versammelte. Man sah Leute die ersten Nachtlager aufzuschlagen und einzurichten. Ganze Familien hockten im Kreise um ihre Abendmahlzeit, und bis zu diesem Morgen waren eine halbe Million jeden Alters, aus allen sozialen Schichten und ethnischen Volksgruppen friedlich beisammen. Es war die grösste Versammlung in Burmas neuer Demokratiebewegung.
Alle waren rechtzeitig gekommen, um sich einen guten Platz zu sichern und um das grosse Ereignis, welches hier stattfand, nicht zu verpassen:


Aung San Suu Kyi trat zum ersten Male öffentlich auf.


Obwohl sie zu diesem Zeitpunkt eine noch kaum bekannte Grösse in Burma war, löste ihr Namen etwas Magisches aus. Sie ist die 43jährige Tochter (Anmerkung: Anno 1988) des burmesischen Nationalhelden Aung San, welcher im Juli 1947, sechs Monate vor der Unabhängigkeit, von einem eifersüchtigen politischen Gegner ermordet worden war.
Für viele ist Aung San noch immer Symbol für all das, was Burma sein sollte, aber nicht ist: friedlich, blühend, demokratisch. Deshalb war sein Porträt bei den Demonstrationen in Rangun und anderen Orten auch oft zu sehen.


Aung San Suu Kyi kehrte vom Ausland zurück, kurz bevor die politischen Unruhen im Lande ihren Höhepunkt erreichten. Sie kam, um ihre kranke Mutter zu pflegen. Sie ist verheiratet mit Michael Aris (gestorben im Heimatland Grossbritannien, Aung San Suu Kyi sah ihren Mann nie mehr), einem bekannten britischen Tibetologen, und lebte gewöhnlich in Oxford. Während Suu Kyi noch am Sterbebett ihrer Mutter sass, wurde sie in die sich anbahnende Entwicklung hineingezogen.

Es herrschte Hochstimmung. Doch bevor die Versammlung am 26. August 1988 im Verlaufe des Morgens beginnen konnte, wurde die Menge von verschiedenen Bomben aufgeschreckt. Studenten und buddhistische Mönche bildeten eine Menschenkette um die Tribüne und hatten ein achtsames Auge auf allfällige verdächtige Personen. Das Gelände um die Pagode war ein einziges Meer von Menschen, die Strassen, welche zur Pagode führten, waren überflutet von neugierigen Zuschauern.


Endlich bahnte sich eine zarte, professorenhafte Frau den Weg durch die jubelnde Menge. Das übergrosse Porträt ihres Vaters hing über der Tribüne neben der Widerstandsfahne aus der Zeit der Unabhängigkeit von den Engländern in den 40er Jahren. Lautsprecher waren auf die Abertausenden von Menschen gerichtet, die vor der Pagode am Boden sassen. Unter tosendem Applaus und Jubelgeschrei betrat sie die Tribüne. Htun Wai, ein bekannter burmesischer Filmschauspieler, stellte Aung San Suu Kyi der ungeduldigen Menge vor und forderte sie auf, sich hinzusetzen, um ihrer Ansprache zu folgen. Übers Mikrophon sprach sie zuerst von Demokratie, die durch Einheit und Disziplin entsteht, und wechselte dann zu einem persönlichem Thema:


"Viele Leute sagen, ich sei mit den politischen Verästelungen in diesem Lande nicht vertraut, weil ich den grössten Teil meines Lebens im Ausland verbracht habe und mit einem Ausländer verheiratet bin. Ich möchte frei und offen sprechen! Es ist wahr, dass ich im Ausland lebe, es ist auch wahr, dass ich mit einem Ausländer verheiratet bin. Doch diese Tatsachen haben nie und werden auch nie und in keiner Weise meine Liebe und Hingabe zu diesem Land schmälern. Einige Leute behaupten, ich wisse nichts von der burmesischen Politik. Leider weiss ich nur allzuviel. Kaum eine Familie hat deutlicher erfahren, wie irrig die burmesische Politik sein kann. Mein Vater litt sehr unter dieser Politik."
Hunderttausende jubelten und klatschten. Jeder Schüler hat in der Schule vom Martyrium erfahren, das ihr berühmter und vergötterter Vater durchgemacht hat. Der donnernde Applaus erreichte den Höhepunkt, als sie ihre Rede abschloss:
" Die gegenwärtige Krise geht die ganze Nation an. Als Tochter meines Vaters kann ich gegenüber dem, was geschehen ist, nicht gleichgültig sein. Aus dieser landesweiten Not wächst der zweite Kampf um die Unabhängigkeit."
Die meisten, die Aung San Suu Kyi sehen und hören wollten, kamen aus purer Neugierde. Ein Anwesender erzählt: "Wir waren alle überrascht. Sie sah ihrem Vater nicht nur sehr ähnlich, sie hatte auch dieselbe Sprache: kurz, prägnant und verständlich."

Auch wenn sie lange weggewesen war, hatte sie die burmesische Politik im Blut.


Ihr Vater, manchmal auch George Washington von Burma genannt, hatte den Burmesen die Unabhängigkeit gebracht.
Nach dessem Tode sorgte seine Frau Khin Kyi nicht nur für die drei kleinen Kinder - zwei Söhne und die damals zweijährige Suu -, sie wurde auch dank ihrer Persönlichkeit Burmas prominenteste Frau. Im Parlament übernahm Khin Kyi die Nachfolge ihres Mannes für den Wahlkreis 'Lanmadaw' in Rangun. 1948 trat sie zurück und führte den 'Women and Children Welfare Board'. Später leitete sie die 'Social Planning Commission' und den 'Council of Social Services'. Sie bereiste ausgiebig Europa, die USA und Südostasien, bevor sie Botschafterin von Burma in New Delhi wurde. Sie war die erste Burmesin, die ein solches Amt im diplomatischen Dienste des Landes bekleidete.
Aung San Suu Kyi war 15, als sie mit ihrer Mutter nach Indien kam. In Rangun hatte sie die 'Methodist School' besucht, eine der strengsten und angesehensten Schulen des Landes. Malavika Karlekar, eine Freundin aus der Indienzeit, schrieb am 31. August 1988 im 'Indien Express' ein paar ganz persönliche Zeilen über sie: "Suu sitzt am liebsten kerzengerade auf einem Stuhl. Sie betonte immer wieder, dass sie ihre Haltung von einer strengen und disziplinierten Kindererziehung habe."


U Ohn, ehemaliger burmesischer Botschafter in der Sowjetunion und in Grossbritannien, war mit der Familie eng befreundet. Jedesmal, wenn er nach Rangun kam, brachte er Bücher mit für Suu Kyi. Sie hatte die griechische und die römische Mythologie gelesen und kannte Lyrik und Prosa der europäischen Klassiker.
Sie schloss ihre Ausbildung in New Delhi ab, zuerst an der Mittelschule, später am 'Lady Shri Ram College', wo sie durch aussergewöhnliche Leistungen auffiel. Ihren Vater hatte sie zwar nie gekannt, doch die Geschichten und Legenden um ihn herum gaben ihr immer wieder Gelegenheit, ihre eigenen Ideale aufzubauen. Diese entwickelten sich mehr und mehr zu etwas Eigenständigem, weg von den Vorstellungen des burmesischen Armeegründers (Anmerkung ihres Vaters).
In den Indienjahren reifte in ihr eine nachhaltige Bewunderung für die Prinzipien der Gewaltfreiheit, denen Mahatma Gandhi in seiner politischen Philosophie und in seiner Lebenshaltung Ausdruck gab.



Aung San Suu Kyi ging 1964 nach Grossbritannien, um ihr Studium am 'St. Hugh's College' in Oxford weiterzuführen. 1967 erhielt sie ihren Magister in Philosophie, Politik und Wirtschaft und arbeitete eine Zeitlang als Forschungsassistentin an der Universität von London. 1967 bis 1971 bekleidete sie verschiedene Ämter bei der UNO in New York und heiratete 1972 Michael Aris, der seit 1967 Privatlehrer der königlichen Familie im Königreich Bhutan im Himalaja und Vorsteher des dortigen Übersetzungsdienstes war. Nach ihrer Heirat wurde Suu Kyi als wissenschaftliche Leiterin im Aussenministerium damit beauftragt, den Aussenminister in UN-Angelegenheiten zu beraten. Zwei Jahre nach der Geburt ihres ersten Sohnes Myint San Aung (Alexander) 1973 kamen sie nach England zurück, wo ihr Mann eine akademische Laufbahn an der Universität von Oxford einschlug. Der zweite Sohn, Htein Lin (Kim) wurde 1977 in Oxford geboren.


Aung San Suu Kyis Englandjahre und ihre Heirat mit einem Engländer sind wohl die widersprüchlichsten Seiten in ihrem Leben. Ihre politischen Gegner versuchten denn auch aus ihrer langen Abwesenheit von Burma Kapital zu schlagen. Die gegenwärtige Militärjunta hat immer wieder betont, ihr Fernbleiben von Burma beweise, wie unburmesisch sie sei. Andere behaupten - und dazu gehört der ehemalige 'Guardian'-Verleger Sein Win, der danach die 'Kyodo'-Nachrichtenagentur unter sich hatte - Suu Kyi sei in ihrer Studienzeit in Oxford in "radikale Studentenpolitik" verwickelt gewesen.
Ihre Freunde aus dieser Zeit erzählen eine ganz andere Geschichte. Niemand erinnert sich daran, dass sie sich als Studentin politisch betätigt hätte. Im Gegensatz etwa zu Benazir Bhutto, die Präsidentin der Studentenvereinigung in Oxford war, hielt sich Aung Suu Kyi klar abseits politischer Aktivitäten. Ihre Energie nutzte sie, um für verschiedene Seminare wissenschaftliche Berichte über Süd- und Südostasien zu schreiben. Eine ihrer engsten asiatischen Freundinnen war Sunethra Bandaranaike, die Tochter des verstorbenen Führers von Sri Lanka, S.W.R.D. Bandaranaike. Andere asiatische Freunde teilten mit ihr das grosse Interesse für die britische und die asiatische Kultur. Zu ihren westlichen Freundinnen aus der Studentenzeit gehört Anne Pasternak Slater, die Nichte des sowjetischen Schriftstellers und Dissidenten Boris Pasternak. Ihre Beziehungen und Interessen zeigen deutlich, dass sie kein Corazon-Aquino-Typ ist, keine Hausfrau, die durch unvorhergesehene Umstände in die Politik gehievt worden ist. Sie ist eine reife, gebildete Frau, welche die Geschichte und Kultur ihres Heimatlandes bestens kennt.


Während ihrer Auslandjahre hielt sie den Kontakt zu ihrer Heimat aufrecht. Sie behielt ihr burmesisches Bürgerrecht und schickte ihre Söhne als Novizen in buddhistische Klöster. Eine Mitstudentin aus Oxford erinnert sich, dass man sie die "burmesische Suu" nannte. Sie gab sich nie westlich und kam immer im traditionellen Sarong zu den Vorlesungen.
Suu hatte den Vater verloren, war von der Mutter getrennt und musste sich dem englischen Einfluss aussetzen. Dennoch hat sie unbestritten nichts von ihrer burmesischen Identität eingebüsst. Ihre Herkunft und das tiefe Bewusstsein, die Tochter ihres charismatischen Vaters zu sein, verliehen ihr eine innere Stabilität. Von dieser Kraft zehre sie, wenn sie länger in fremden Ländern und Kulturen lebte, ganz besonders aber in den Vereinigten Staaten. Damals war der Vietnamkrieg auf seinem Höhepunkt. Nach der Ermordung von Robert Kennedy und Martin Luther King fand ein Umbruch statt. Der heftige Konflikt an der 'Kent State University' im Jahre 1970 ist ein Markstein. "Diese Ereignisse konnten sie im Gegensatz zu andern Studenten aus der dritten Welt nicht aus dem Lot bringen. Sie blieb auch während des Tumults Burmesin", erinnert sich eine Freundin.
Sie lebte in einer kleinen Wohnung in 'Manhattan Island' zusammen mit Dora Than-E, einer guten Bekannten der Aung San-Familie und berühmten burmesischen Sängerin der 30er Jahre. Suu Kyi sprach oft von ihr als ihrer "Notfalltante".


Die beiden assen und sprachen burmesisch, und ihre Wohnung war bekannt als "burmesisches Zuhause in Manhattan", Wenn sie nicht gerade an ihrer Arbeit bei der UNO war, engagierte sie sich als freiwillige Sozialarbeiterin am 'Belleview Hospital' in New York. Die Bürgerrechtsbewegung hat sie in dieser Zeit stark inspiriert, und in den Reden von Martin Luther King erkannte sie Parallelen zu den Idealen von Mahatma Gandhi, die ihr schon vorher sehr vertraut waren.
Zu Beginn der 80er Jahre, zehn Jahre nach ihrer Heirat, wollte sie ins akademische Leben zurück. Sie begann zu unterrichten und betrieb neben der Erziehung ihrer beiden Söhne Forschungsstudien über Burma. 1985 wurde sie ans Zentrum für Südostasiatische Studien an der Universität von Kyoto als Gaststudentin eingeladen. Hier beschäftigte sie sich mit Material über Burma während des II. Weltkrieges, vor allem im Zusammenhang mit ihrem Vater, der in den 40er Jahren einige Zeit in Japan verbrachte. Sie lernte Japanisch zusammen mit ihrem Sohn Kim, der sie nach Kyoto begleitete.
In diesem Jahr konnte Suu Kyi intensiv arbeiten. Von ihren Freunden wissen wir, dass sich ihr hier in Japan neue geistige Horizonte erschlossen haben. Da sie sich ungestört und eingehend mit ihrem Vater auseinandersetzen konnte, gelang es ihr, sich mehr und mehr mit seinen Prinzipien zu identifizieren. Nach Abschluss ihrer Studien ging sie direkt nach Burma zurück, bevor die dann 1986 mit Kim nach Shimla in Indien reiste. Jetzt war die Familie wieder vollständig.


Während sie in Kyoto weilte, wurde ihr Mann am 'Indian Institute of Advanced Study' als Fellow (Kamerad) aufgenommen. Ihr wurde jetzt eine ähnliche Stelle angeboten, und sie arbeitete an einem Manuskript, das den burmesischen und indischen Nationalismus während der Zwischenkriegsjahre miteinander verglich. Ihre heute bekannte Studie 'Burma and India - Some Aspects of Intellectual Life under Colonialism' erschien dann im Juni 1990.
Kaum hatte sie angefangen, an ihrer Dissertation an der 'School of Oriental and African Studies' in London zu arbeiten, als ihre Mutter im April 1988 einen Schlaganfall erlitt.
Suu Kyi eilte unverzüglich nach Rangun. Fast vier Monate blieb sie neben Daw Khin Kyi im Spital. Sie brachte ihre Mutter noch rechtzeitig nach Hause; ihre Söhne und ihr Ehemann Michael Aris kehrten Ende Juli an die University Avenue zurück, wo das Anwesen der Familie ist; bevor sich die Spannung in Burma entlud.
Bevor Aung San Suu Kyi vor der Shwedagon-Pagode in der Öffentlichkeit auftrat, hatten viele gehofft, ihr Bruder Aung San Oo würde aus den USA zurückkommen und den Befreiungskampf führen.


Doch trotz seines familiären Hintergrundes hatte Aung San Oo nie grosses Interesse an der Politik gezeigt. Er lebte zurückgezogen in San Diego und hat das amerikanische Bürgerrecht angenommen. Der andere Bruder, Aung San Lin, ertrank als Kind in einem Teich in der Nähe des Familiengrundstücks in Rangun.
Es blieb also nur Suu Kyi, welche die Familientradition übernehmen und den zweiten Kampf für die Unabhängigkeit anführen konnte.

Dass gerade eine Frau diese bedeutende Aufgabe in einer grundsätzlich patriarchalischen Gesellschaft übernehmen musste, erstaunt manchen Aussenseiter. Doch in der Geschichte Burmas haben Frauen immer wieder Macht und Einfluss ausgeübt. In der Kolonialzeit besetzten die Frauen wichtigste Positionen in akademischen Berufen und auch in der Politik.
Viele beteiligten sich am Kampfe für die Unabhängigkeit.

Seit der Militärdiktatur 1962 spielen Frauen jedoch kaum noch eine Rolle in der Politik, was in einer von der Armee dominierten Administration nicht überrascht.

Gerade auch deshalb ist Aung San Suu Kyi so beliebt und auch die ethnischen Völker sehen sie als einzigen Ausweg aus der jetzigen prekären Situation. Sollte Daw Aung San Suu Kyi nicht genesen, würde dies die burmesische Junta in arge Bedrängnis bringen. Was haben die BurmesInnen noch zu verlieren? Die meisten hungern und sind im Wissen, dass China fest hinter den korrupten Generälen steht.

Suu Kyi ist die einzige und letzte Hoffnungsträgerin für das heutige Burma. Das wissen auch die Generäle. Daher erstaunt es umso mehr, dass man der Friedensnobelpreisträgerin und Ikone die nötige Hilfe verweigert!


11th May 2009